Im Schoße der Angst

Wie häufig habe ich diese Floskeln gehört: Streng Dich an! Halte es aus! Es ist nur Angst! Du musst Dich zusammenreißen! Du bist bequem! Du bist träge! Du musst Sport machen! ... Endlos würde diese Kette weitergehen. 

 

Fachleute warfen mir ähnliche, nur etwas anders verpackte Sätze um die Ohren: "Ohne Tabletten werden Sie es nie schaffen!" - oder "Das braucht eine monatelange, wenn nicht jahrelange Therapie in einer Klinik. Vermutlich werden Sie Ihre Angst nie loswerden!". Immer saß ich stumm gegenüber, zitterte wie ein Würmchen und bekam Wut. Unendliche Wut. Nicht nur auf mich, sondern auf die Gesprächspartner. Ich "kochte" und wütete innerlich über Ihre Dummheit. "Die haben keine Ahnung! Die wissen doch nicht wie schlimm es mir geht! Die sollten einmal meine Angst er- und durchleben. In den allermeisten Fällen blieb ich nach außen regungslos und stumm. Die Gedanken wüteten in mir. Potenziere mal drei einen Vulkanausbruch! So ebbten meine Emotionen. Danach zog ich mich schmollend in eine Ecke. Ich war wütend auf mich, auf die Angst, auf die Menschen. Eigentlich auf Alles. Ich fühlte mich unverstanden. Die Methode "Drama Queen" wütete... 

 

Ich saß im Schoße der Angst. Sie tat mir auch irgendwie gut. Sie war mir nach so vielen Jahren vertraut und es war stets kein schöner Satz, den ich auf eine Einladung oder Verabredung außer Haus sagen musste: "Ich kann das doch nicht. Ich habe doch Angst!", aber er gab mir Sicherheit. Ich musste mich diesem Stress nicht stellen. Ich brauchte diese Gefühle nicht erleben. Ich schützte mich. Ich bewahrte mich vor dem Unheil, in dem ich einfach erkläre: Ich habe Angst. Schlussendlich schon so viele Jahre. Ich konnte das einfach nicht. Diese Phasen, in denen ich fast in einer völligen Lethargie und bunten Bädern voller Selbstmitleid verfiel gab es immer wieder. Sie waren "gemütlich". Sie wiegelten Sicherheit vor. Jedoch wird es in den Phasen eng und immer enger. Es war wahrlich kein schönes Leben. Es war eintönig, ohne "äußerliche Reize" und es war ohne Gefühle. Es fühlte sich kalt und monoton an. 

 

Gerade die Betroffenen, die schon viele Jahre mit Ihrer "Angst" zu tun haben und unzählige Behandlungen schon absolvierten, verfallen in diesem Sog der Lethargie. Sie geben sich oft auf. Sie haben Angst - Punkt! Das Umfeld hat es zu akzeptieren. Es sollte und müsse Verständnis aufbringen und natürlich Rücksicht nehmen. Oft wird über den Lebenspartner, die beste Freundin, die Familie oder über die Kollegen gewettert. Alle verstünden nicht, wie schlimm es ist so eine Angststörung zu haben. Natürlich ist das auch irgendwie richtig. Ständig unter Strom/Panik zu stehen kostet Kraft, lenkt die Konzentration immer auf die Angst und zerstört jede Tätigkeit. Aber, wir Betroffenen, machen es uns da auch gerne gemütlich und einfach! 

 

Mir erklärte auch einmal ein Arzt, dass ich nur diese "Mini-Tablette" nehmen müsse (er schwang sie vergnüglich in seiner Hand hin und her) und dann wäre meine Angst wieder auf Weiterreise. Ich glaubte ihm nicht. Zu oft hatte ich es schon mitbekommen. Viele, die sich für die Tabletten-Einnahme entschieden hatten, landeten irgendwann immer an dem Punkt, dass die Angst wieder in ihr Leben eingezogen war. Es war ein stetes Auf und Ab. Das wollte ich nicht. Auch heute sind mir so viele Betroffene bekannt, die schon sämtliche Antidepressiva durch haben und immer wieder neu experimentieren und immer die Hoffnung hegen: Diese Pille ist nun die, die mich gesund machen wird.

 

In einem ähnlichen "Modus" war ich auch verfallen. Ständig hoffte ich die Lösung zu finden. Die Lösung, die mir die Angst "killt". Was ich da alles erlebte, durchlebte - davon hatte ich schon einige Male berichtet. Aber gerade jede neue Hoffnung war wie ein sanftes Tätscheln. Es tat gut. Auch wenn ich ja in diesem Moment wusste, dass es erst einmal nur eine Idee, eine Hoffnung war und noch keine aktive Maßnahme. Vor jeder aktiven "Maßnahme" schob sich ja erst einmal die Angst mächtig davor. So lange es nur "Gedanken", "Vorhaben" oder "Planungen" waren eine neue mögliche Therapie zu versuchen, konnte ich es ertragen. Ich konnte es sogar gut ertragen. Es war wie ein schöner Traum. Mehr aber auch nicht. Diese Hoffnung kann kurzzeitig beleben. Aber der Fall folgt. Meist, wenn das Vorhaben "aktiv" durchgesetzt werden soll oder wenn sich einfach NICHTS tat. 

 

Ich darf es eigentlich nicht laut sagen, aber viele der Menschen, denen ich damals gegenüber gesessen hatte, hatten schlicht und einfach Recht. Ich hatte es mir zu häufig sehr einfach gemacht. Ich hatte es aber auch nicht besser gewusst. Es hatte mir ja niemand zuvor erklärt, wie es Herr Wolfgang Siegel (www.wolfgang-siegel.de) getan hatte, was da genau mit mir passierte. Zuvor hatten mir einige den "Ablauf" einer Panikattacke erklärt (deren Harmlosigkeit und dass sie von alleine wieder aufhören würde), Strategien zur Ablenkung in die Hände geworfen (von Meditation bis Schafe zählen) oder bestimmte Nahrungsmittel zu meiden...(die Tipps waren endlos).Niemand hatte mir die Banalität einer "gedanklichen" ausdauernden Selbst-Angsterzeugung erläutert. Ich hatte zwanghaft "Angstgedanken" rund um die Uhr entwickelt, die mich unter einem Dauerstress gesetzt hatten - Angst war stets das zentrale Thema und das jeden Tag! Im Kopf waren meine Grenzen, die aber nicht in der Wirklichkeit gewesen waren.  Es war meine ständige Aufgabe gewesen "Mich" und "Alles" zu kontrollieren. Mir war damals die Sinnlosigkeit nicht bewusst gewesen. Auch die hatte mir niemand erklärt. Ich konnte das alles nicht kontrollieren, was ich da zu kontrollieren glaubte. 

 

Erst nach zwanzig Jahren waren es wenige Erklärungen, wenige richtige Gedanken und Erkenntnisse, die schlussendlich meine Angststörung "auflösten" und mir deutlich machten, dass ich viel zu gemütlich und viel zu lange im Schoße der Angst verharrt hatte. 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Coco (Freitag, 15 September 2017 23:01)

    Ich befinde mich Momentan auch im Schoß der Angst. Ist mir jetzt bewusst, wo ich diesen Beitrag lese, in dem ich mich so viel wiedererkenne