Mobbing - der Lenker der Gesellschaft

 

 

 

Außen wird es immer enger, die Stimmen immer dreckiger, die Münder immer berechnender - Du brichst zusammen. Du begibst Dich auf eine Wanderung in Deine, eigene Welt. Wo es still wird, wo der Hass verschwindet. Nur um die Tränen laufen zu lassen oder einfach  ein wenig durchzuatmen.

 

 

Ist Mobbing wirklich ein so großes Thema an unseren Schulen? Oder ist es stets ein tragischer Einzelfall? Wie zuletzt der Tod einer Schülerin einer Grundschule in Berlin. Ist es nicht vielmehr so, dass "Mobbing" lieber, wenn es auftritt, in die letzte Ecke verscheucht wird.? Könnten die Menschen es mit Füßen zertreten, würden sie es liebend gerne tun. Lieber weghaben - wegtragen von jenem Tisch, auf dem sich wichtigere Gespräche und Handlungen stapelten. In vielen Schulen herrscht schon der Tenor der Leitenden und Lehrenden das Gewalt und Mobbing feste Themen des Schulalltags sind, bei der die Leitung und Lehrerschaft gewillt und motiviert sind. Sie wollen diesen Problemen ihre Aufmerksamkeit widmen und nicht länger wegschauen. Aber wurde das auch umgesetzt, vielmehr wird es ausreichend umgesetzt? 

 

Ich wurde 1977 eingeschult. Nach einer traumhaften Zeit im Kindergarten, der direkt im Wald lag, hatte ich das Glück eine Grundschule besuchen zu dürfen, die damals von guter Qualität war. Uns Kinder führte eine kluge, empathische und menschlich gerechte Lehrerin durch die primären Jahre. In dieser Klasse wurde sich zwar geneckt, gestritten und auch schon einmal gerauft, aber niemals geriet auch nur ein Schüler oder eine Schülerin komplett ins Abseits.

 

Während der vierten Klasse musste ich die Schule wechseln, da meine Eltern in einem anderen Stadtteil ein Haus gebaut hatten und wir umgezogen waren. Schon der erste Tag in dieser Grundschule hinterließ keinen guten Eindruck bei mir. Die Lehrerin gefiel mir einfach nicht und was dazu noch unschön war, konnte ich direkt in den nächsten Tagen bemerken. Einige Schüler und Schülerinnen standen klar auf der Abschussliste oder wurden vorgeführt. Einem Mädchen, welches während des Unterrichts vor der Klasse etwas vortrug, wurden gemeinste Anfeindungen entgegengeworfen - dazu flog auch ein nasser Schwamm in ihr Gesicht. Staunend und erschrocken beobachtete ich das Geschehen. So etwas war mir unbekannt, wie Kinder mit einem solchen Spaß und Hass sich begegneten. Als die Tränen des Mädchens rollten. die Gesichtsfarbe von weiß zu rot gewechselt hatte, war auch nicht Schluss., sondern die Beschämung immer heftiger. So richtig reingesteigert hatten sich die Kinder. 

 

Es ging so lange, bis das Opfer scheinbar die Lage nicht mehr länger ertragen konnte und aus dem Klassenzimmer rannte. 

 

Frei nach dem Motto: Jeder ist mal an der Reihe wurde dieses Spiel ehrgeizig weiter betrieben. Einige agierten klug und mischten sich immer rechtzeitig in den Mob der Mobber, um ja nicht in eine Opferrolle zu geraten. Dieses halbe Jahr an dieser Grundschule tat weh. Es öffnete mir eine Tür zu einem Leben, dass mir vorab unbekannt war. Oft lag ich abends wach und dachte nach. So ganz verstand ich damals nicht, was der Sinn solcher schändlichen Handlungen sein könnte. Ich war damit komplett emotional überfordert mit diesen Geschehnissen und konnte einfach nicht begreifen, warum sie das taten. 

 

Zum Glück war ich nur ein halbes Jahr an dieser Schule. Das ging auch irgendwie vorbei. Voller Vorfreude war ich auf die weiterführende Schule, dem Gymnasium gewechselt. Dort hatte ich die Hoffnung, dass alles schnell wieder zum geliebten, gewohnten Schulalltag werden würde. Die Anfangsjahre waren dann auch tatsächlich wieder besser. Auch hier an der Schule gab es hier und da Dispute, aber niemand in der Klasse geriet zunächst ins komplette Abseits. Ein Junge wurde häufiger drangsaliert - und das wirklich nicht besonders schön. Auch ich war dabei und muss mir das selbst ankreiden. Ich hatte auch mitgemacht - zwar nicht in vorderster Front, aber ich hatte dem Ganzen auch kein Einhalt geboten. Er trug oft schlecht sitzende, abgewetzte Kordhosen, wirkte etwas plump und unförmig und auf der Nase saß eine komische Brille. Durch seine Art - er spielte oft den Clown - hatte er es den Klassenkameraden leicht gemacht ihn zu denunzieren. Ob das Spaß gemacht hatte? Keine Ahnung - mir jedenfalls nicht. Auch wenn ich mit dabei war, spürte ich Gefühle von Mitleid. Er wurde abgewertet, gehänselt - bloß gestellt und ich habe mir diesbezüglich sehr lange Vorwürfe gemacht. Er wirkte oft sichtlich traurig, hatte sich aber nie gewehrt. 

 

In der zehnten Klasse geriet ich ins Abseits und in die Rolle eines Mobbingopfers. Natürlich war ich auch nicht ein menschliches Heiligtum. Ich wirkte oft wie ein Besserwisser oder traf mit einigen Aussagen (als Resultat meines ausgeprägten Gerechtigkeitsempfindens) auf Diskrepanzen. Aber, mein Fehlverhalten gab anderen Klassenkameraden nicht das Recht in der Art und Weise, die nun folgte mit mir umzugehen. So ganz und genau im Detail kann ich es nicht formulieren - oder in Worte bringen. Dafür sitzt da auch heute noch - Jahrzehnte später -  ein abgrundtiefer Schmerz. Vermutlich wäre es auch für den Lesenden schockierend, was ich da alles erleben musste. Gewehrt habe ich mich nicht. Vorsichtig versucht nachzufragen - das Wort "Warum" formuliert oder auch das Gespräch gesucht, als es begann. Gerade zu denjenigen, die nicht in vorderster Front waren. Oft erhielt dich dann die Antwort. "Eigentlich mag ich Dich ja, aber Du weißt ja … ich darf es nicht zeigen", Ein Schulterzucken, fahrige Bewegungen und dann ließen sie mich stehen.

 

Allen voran die "Redeführerin". Sie konnte besonders gut hämisch  mit den Augen blitzen und ihr Gefolge dirigieren. Mit jeder ihrer Handlungen gegen mich gewann sie an Macht und erhielt weniger Dementi von ihrem Gefolge. Da wurde dann schon einmal laut gesagt, wenn ich in das Klassenzimmer kam: "Uuii das stinkt auf einmal hier. Lass uns schnell verschwinden". Meine Schultasche fand ich nicht nur einmal ausgeleert im Papierkorb oder in mehreren verteilt. Stifte verschwanden und es wurden auf Pulten und Wänden "Hassreden zu meiner Person" tituliert. Keiner redete mit mir - durfte er auch nicht. Wagte ich es mich im Unterricht zu melden, wurde ich nachgeäfft oder verbal attackiert. Flüssigkeiten wurden in der Schultasche gegossen, meine Jacken versteckt. Mir wurde auf dem Klo die Tür zugehalten und dabei ständig verbal attackiert und heruntergeputzt. Das sind jetzt wirklich noch die harmloseren Geschehnisse, die ich erlebt hatte. Das ging alles noch viel schlimmer. 

 

Den Lehrern ist es mit Sicherheit aufgefallen - direkt geredet hatte mit mir niemand. Einige Lehrer hatten sogar verbal mitgemischt und ließen hier und da abwertende Äußerungen zu meiner Person fallen. Auch  in der Zeit, in der wir einen Schulausflug in eine "Jugendherberge" machten. Dort war ich nur alleine. Keiner sprach mit mir. Das Problem wurde einfach ignoriert. Irgendwann entriss ich mich der "Außenwelt" und ging in meine "eigene Welt." Die drei Tage dieses Schulausfluges verbleiben unvergessen - es war fast gar nicht zum aushalten gewesen. Wie ein emotionaler Überlebenskampf, bei dem es um Leben und Tod ging.  Ich wäre damals am liebsten geflohen. Nicht nur einmal kam der Gedanke auf mich einfach der Meute zu entreißen und mich in den nächsten Zug zu setzen. Allerdings hatte ich das Geld für die Fahrkarte nicht dabei gehabt. Ich habe viele Jahre über dieses Erlebnis mit niemanden gesprochen. Das hatte ich nicht geschafft. 

 

An den Nachmittagen hatte ich einige soziale Kontakte gefunden (ich nahm Musikunterricht, spielte Tennis und machte Ballet, ging in ein Tanzschule usw.) Heute bin ich diesen Kontakten dankbar, denn sie haben mich neben meiner Familie gerettet, dass ich nicht wie das elfjährige Mädchen komplett aufgegeben hatte. Ich versuchte es mit unnahbarer Stärke - nach Außen tat ich, als würde ich das alles aushalten. Der Mensch passt sich schnell an. So wurde der Walkman meine Pausenbegleitung und ich tauchte in die Welt der Bücher ab. Konzentrieren konnte ich mich im Unterricht überhaupt nicht mehr. Jeden Tag betrat ich das Schulgebäude und hoffte, dass es einfach nicht so schlimm werden würde mit den Anfeindungen. Ich tat als höre ich einfach nicht hin. Doch so einfach ging das nicht. Natürlich bekam ich das alles mit und natürlich traf auch weiterhin jeder Giftpfeil. Die Seele schnürt nur irgendwann zu - sonst hältst Du es nicht aus. 

 

Trotzdem ich mehr in mir war, versuchte ich immer zu beobachten, um ja keinen drohenden, weiteren Angriff zu verpassen. Manchmal rannte ich auch einfach weg. Andere Male ließ ich die Worte an mir vorbei fliegen und alles fühlte sich an wie ein großes leeres Vakuum. Als seien die Gefühle abgestellt.  Diese Zeit mit all ihren Erinnerungen steckt voller tiefer Emotionen, voller Tränen und voller Leid. Ohnmächtig und handlungsunfähig wurde ich. Vermutlich kann sich niemand vorstellen, wie schlimm es ist "gemobbt" zu werden. Wie ausweglos die Gesamtlage ist und wie ohnmächtig Du wirst und wie Dir Dein Lachen entgleitet. Wie es Dich verunsichert und Du einfach eine unerklärliche Angst vor der Begegnung mit anderen Menschen entwickelst. Wie intensiv Du nach Gründen suchst und wie ausweglos Dir alles erscheint. Es ist wirklich schwer zu beschreiben. 

 

Der Gedanke. etwas nicht richtig gemacht zu haben und selbst Schuld zu haben an dieser Situation bohrte weitere, sehr tiefe Wunden. Er war immer präsent und vermutlich glaubte ich das dann irgendwann auch selbst. Oftmals ging mir der Satz durch den Kopf: "Du bist einfach ein schlechter Mensch". Du hast es nicht verdient, dass andere mit Dir besser umgehen. Du bist einfach anders. Das ich "anders" war hatte ich schon länger verstanden, aber was ist daran so schlimm "anders" zu sein? Ich hatte doch nie deswegen anderen Menschen einen Schaden zugefügt. Besondere Begabungen, die ein Mensch zu kompensieren hat, ergeben häufig Probleme im sozialen Miteinander. Dafür gibt es weder Anleitungen noch Erklärungen. Die Gesellschaft wird zum Lenker der Menschen. 

 

Eine weitere schlimmere Erfahrung erlebte ich nach dem Gymnasium auf einer Wirtschaftsschule, als ich versuchte diese schlimmen Geschehnisse endlich hinter mir zu lassen. Eben jene Mutter dieser "Fahnenträgerin" der damaligen Mobber war dort als Lehrerin tätig. Sie hatte "unsere Klasse" einmal in Vertretung und machte da weiter, wo ihre Tochter aufgehört hatte. Sie "putzte" mich vor der ganzen Klasse mit "spitzen" Bemerkungen herunter, die mit Sicherheit aus pädagogischer Sicht anzuklagen sind.  Ihre Rolle als "Führende" nutzte sie da natürlich in vollen Zügen aus. Vermutlich haben meine damaligen Kameraden es nicht verstehen können, was das genau gerade vor ihren Augen passierte, aber in mir brach alles wieder hervor. Ich konnte nur fluchtartig das Klassenzimmer verlassen und wurde von einer heftigen Panikattacke heimgeholt.  Später wurde ich schon gefragt, was denn da los gewesen sei. Aber wie hätte ich das erklären sollen? Ich habe abgewunken. 

 

Die Panikattacken waren ganz klar eine Folge meiner Erlebnisse in der Schule. Sie wurden mein Ventil. Sie geleiteten mich durch das instinktive Vermeiden in eine Welt, in der es weniger schmerzhaft für mich war. 

 

Aber sollten wir Menschen tatsächlich so miteinander umgehen? 

 

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0