Ein bunter Schluck

So Kapitel 13, Römisch III, Vers 5 wurde erstmalig vor genau 20 Jahren veröffentlicht (1978). Dörner schrieb damals in seiner Einleitung zum Kapitel »Psychiatrische Pharmakotherapie«:

" Geschichtlich hat jede therapeutische Technik eine begrenzte Lebenszeit. Auch die Neuropharmaka sind nach der Begeisterungs- jetzt in der Ernüchterungsphase. Anzeichen dafür: 1. Es gibt zunehmend Patienten, die lieber an ihren Symptomen als an ihren Pharmaka leiden. Wir können jetzt auch besser ihre Nachteile wahrnehmen. 3. Alarmierend die epidemische Verschreibungswut."
Klein sieht sie aus. Sie strahlt unaufdringlich in ihrer Hand im hellen Blau. Klare Gedanken zu erfassen fällt ihr schon eine Weile schwer. Zittrig und von Ängsten gepeinigt hatte sie sich zum Arzt geschleppt. Gefühlt hat sie irgendwann nichts mehr, geschlafen auch nicht. Da war nur diese Leere, durchzogen von zehrender Angst. Ihre Stimme hatte einen fremden Klang, als sie ihr Beschwerdebild vorgetragen hatte. Kopfnicken ihres Gegenübers, jener empathische Blick, der einem Händedruck glich. "Ich kann helfen", so die ersehnten Worte. Nicht viele Minuten hatte der Spuk gedauert. Wenig später schon lag eine Schachtel in ihrer Hand. Zahlreiche himmelblaue Wunder die ihr den Kopf streicheln werden und ihr wohl möglich wieder ein Lachen schenken werden. Himmelblaue Gefühle, die der Angst ihren Finger auf den Mund legen. In ihr ebben kurze Flammen von Freude auf. So himmelblau und wesentlich. Auf alle Fragen endlich die erlösende Antwort und mit so einer simplen Gangart.  Die Familie spendet Applaus. "Auf, auf - zu besseren Zeiten!" 
Um 1998 gegen Ende "der Dekade der Hirnforschung" war in Europa und besonders in den USA von Ernüchterung im Bezug einer wahren Verschreibungswut wenig zu hören. Antidepressiva, Neuroleptika, Lithium u.v.m. gelten unangefochten als primäre Wahl einer Therapie. Sie seien die Voraussetzung zur Durchführung einer Therapie. Es gab verzweifelte Klagen von Patient/innen über das Verständnis von Medizin und wurden lediglich als "Schwierigkeit mit den Nebenwirkungen" bagatellisiert. Noch schlimmer der negierende Patient wird als "krankheitsuneinsichtig" disqualifiziert. Sozial-psychiatrische Arbeit und Psychopharmaka gehören zumeist untrennbar zusammen. Die als Therapie deklarierte, notfalls auch unter "Zwang" durchgeführte chemische Veränderung der Persönlichkeit hat auch in den Köpfen der "Behandelnden" Veränderungen stattfinden lassen. So verabreichen ganz normale Krankenpfleger/innen, Therapeuten/-innen, usw. im Alltag in Krankenhäuser, Altenheimen usw.  Psychopharmaka. Ohne diese Helfer wäre eine flächendeckende Versorgung über Psychopharmaka nicht möglich. Diese Art der medizinischen Versorgung schleift sich ein. Sie präsentiert sich als ein Gesetz der Notwendigkeit in einem extrem von Stress überlagerten Alltag, der gerade in Zeiten von zunehmender sozialer Verarmung zahlreiche existentielle Engpässe und Ängste mit einer chemischen Hirnveränderungs-Therapie Antwort gibt.
Um die Durchsetzung von Pharmakabehandlungen auch gegen den Willen von Betroffenen durchzusetzen, werden nicht selten erpresserische Methoden oder Drohungen ausgesprochen. Mittels Sprachbild eines Kleinkindes wird dem Patienten erklärt: "Sie müssen doch ihre Pillen nehmen, vermutlich ein Leben lang. Das wissen Sie doch! Sollten Sie sich verweigern, dann werden schlimme Dinge geschehen. Sie werden nicht mehr allein in ihrer Wohnung/Haus leben können. Sie erinnern sich doch noch, wie es damals war?"  Oder es erklingen Sätze wie "Gut Frau M., wenn Sie es so wollen, dann setzen wir das Medikament natürlich sofort ab."
Die wichtige Erklärung, dass ein sofortiges Absetzen von Psychopharmaka unter Umständen zu furchtbaren Entzugs- oder Absetzung-Problemen führen kann, fehlt u.U.  Frau M. leidet so urplötzlich unter Magenkrämpfe, zittert, kann nicht schlafen oder kollabiert. "Sie sehen nun doch Frau M. Alles ist nicht so einfach. Sie benötigen die Pillen. Was meinen Sie nun? Sollen wir es nicht doch wieder weiter versuchen?" Aber auch anfängliche oder andauernde Nebenwirkungen geraten ins Hintertreffen. "Nebenwirkungen sind leider nicht zu vermeiden. Die gehören zu der medikamentösen Therapie und müssen in Kauf genommen werden. Es gibt auch leider nichts Besseres bei einem chronischen Fall wie Sie es sind." 
Es geht auch um den Auslöser, die bzw. den Ursache-(n), die nach einem Absetzen wieder zutage kämen. Schließlich hatte es für den Patienten bei seiner primären Vorstellung bei seinem Hausarzt/Facharzt schon keine andere Lösung gegeben als die Verordnung von Psychopharmaka. Was geschieht also nun mit einem Patienten, der die empfohlene Behandlung verweigert? Viele Profis reagieren mit beleidigter Ablehnung, fühlen sich gekränkt und als Arzt und Patient sitzt man sich fortan vielleicht feindlich gegenüber. "Ohne Medikamente werden Sie es garantiert nicht schaffen und das kann nicht befürwortet werden", wird oft als Erklärung geliefert. Für einen von Krisen gebeutelten Patienten oft schwierig in dieses Schlachtfeld zu ziehen. Viele geben ihre Einwilligung. 
Natürlich ist es so, dass viele Profis in ihrem Bereich wirklich helfen wollen und zwar möglichst schnell und gut. Das sollte auch alles im Rahmen ihrer Arbeitszeit geschehen. Vermutlich wird es nie wieder eine Welt ohne Psychopharmaka geben. Gegen eine Flut an Medikamente, die als erste Wahl bei einer psychischen Krise/Erkrankung gelten, werden wir nicht mehr ankommen. Mit dem Einsatz von Psychopharmaka, insbesondere auch den Einsatz (in der Geriatrie) von Neuroleptika hat ich scheinbar eine enorme Souveränität in das medizinische "Geschehen" breitgemacht. Therapien frei von Psychopharmaka scheitern nicht selten an Vorgesetze, an Ärzte, an Kollegen/-innen oder auch an den Angehörigen der Patienten/-innen, aber vor allem auch an den eng getakteten Zeitstrukturen des Berufsalltags mit seinem wirtschaftlichen Wegweisern. Sie scheitern an eigenen, inneren Grenzen gegenüber der Begleitung akuter Krisen, an existenziellen Fragen und individuellen Katastrophen. Hier dreht sich ein professionelles Hamster-Rad. Die Zunahme von psychischen Störungen/Erkrankungen wächst auf allen Seiten. Gottlob entstehen immer wieder noch andere, alternative Wege. Zugegeben, sie sind oft mit mehr Geduld und Mühe verbunden und führen dennoch langfristig zu einer manifesten Stabilität des Patienten. Viele Patienten probieren sich durch den Dschungel verschiedener Psychopharmaka - "Wir müssen nur die eine Pille finden, die Ihren Zustand stabilisiert", so die gelieferte Anweisung und vermutlich auch die allergrößte Hoffnung jedes Patienten, der nach einer möglichst unkomplizierten Lösung auf seine Probleme hofft. Gelegentlich ermöglichen Medikamente aus zeitnah aus einer psychischen Krise zu gelangen, aber in der Regel wird so keine Stabilität erreicht, die von Dauer ist. 
Generell möchte ich die Einnahme/Gabe von Psychopharmaka nicht ausnahmslos negieren. Ich möchte sie nur mit Kritik beheften und jedem mit auf den Weg geben sich immer alles sehr gut für sich alleine zu überlegen. Mein damaliger Entschluss mich gegen die Einnahme von Psychopharmaka auszusprechen, hatte schon dazu geführt, dass ich einige Wortgefechte mit "Behandelnden" aushalten musste. Dank meiner verbalen und auch mentalen Stärke (trotz der Krise) konnte ich so manchen, durchaus manipulativen Zusprüchen standhalten. Alle oben beschriebenen Punkte habe ich live erlebt. Offene Anfeindungen, Drohungen usw. sind keine Phantasie. In mir war ich überzeugt, dass es nicht mein Weg war. Vielleicht ist Deiner ein anderer? Es geht nicht darum etwas zu verteufeln, sondern vielmehr geht es darum Lebensqualität und Stabilität zu gewinnen. 
Jeder Stoß sich innen zu verändern ist nicht einfach und erfordert ein hohes Maß an Ehrlichkeit zu sich selbst. Wer sich im Spiegel betrachten kann und seine eigene Seele berührt , hat schon viel eigene Nähe gefunden.  Diese Ehrlichkeit liefert nicht eine bunte Farbenpracht - sie ist auch in manchen Bereichen unschön anzusehen.  Aber ich motiviere gerne mit einem : Trau Dich! 

 

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